Wechselläuten

Seht, wie sich blattweis der Kalender pellt:
Bald ist er kahl, wie Bäume ohne Kleid.
Es stirbt das Jahr, und mit ihm stirbt die Welt.

Die Zeitung bringt uns täglich neues Leid.
Der Krieg geht niemals ein, doch mancher Held.
Es stirbt das Jahr, und mit ihm stirbt die Zeit.

Die Weichen werden nicht mehr neu gestellt.
Der Vorsatz ist stets gut, doch reicht nicht weit.
Es stirbt das Jahr, und mit ihm stirbt die Welt.

Selbst in Gesellschaft siegt die Einsamkeit.
Die Freunde kaufst du dir mit etwas Geld.
Es stirbt das Jahr, und mit ihm stirbt die Zeit.

Das Baro-, nicht das Thermometer fällt.
Die Wolken? Naß. Es hat noch nicht geschneit.
Es stirbt das Jahr, und mit ihm stirbt die Welt.

Computer stürzen ab mit Bits und Byte.
Wer hat im Ernst geglaubt, daß seiner hält?
Es stirbt das Jahr, und mit ihm stirbt die Zeit.

Die Nacht zerreißt, wenn die Sirene gellt.
Vielleicht ein Selbstmord, oder es gab Streit.
Es stirbt das Jahr, und mit ihm stirbt die Welt.

Silvester wird gefeiert. Man ist breit.
Dem, der sich totfriert, ist der Spaß vergällt.
Es stirbt das Jahr, und mit ihm stirbt die Zeit.

Ein Raumschiff fliegt zum Mars, wo es zerschellt.
Zwei Boxer liefern den ’Jahrtausend-Fight’.
Es stirbt das Jahr, und mit ihm stirbt die Welt.

Schon tanzt der Schnitter mit der letzten Maid
Und Zerberos, der Hadesköter, bellt.
Es stirbt das Jahr, und mit ihm stirbt die Zeit.

Wer nach dem Schicksal fragt, wird jetzt geprellt.
Zu gute Horoskope wecken Neid.
Es stirbt das Jahr, und mit ihm stirbt die Welt.

Die Zukunft ist vorbei. Seid ihr bereit?
Jetzt ist Jahrtausendende das, was zählt.
Es stirbt das Jahr, und mit ihm stirbt die Zeit.

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