Zweites Kapitel
Grün, Gold und Schwarz

Nun war es also Sybalds Haus. Zwar verwaltete er die Kolonie schon seit Jahren, schon seit Vaters Tod, und niemand zweifelte daran, daß er seine Sache gut machte. Doch über dem Turm hatte immer die Flagge der Fadars geweht. Nun hing dort seine.
Erst schmerzte es mich. Ich mochte vielleicht der letzte Fadar sein, aber es gab mich noch, und wenn man nun auf die Burg zuritt und sah die fremden Farben - grün, gold und schwarz - konnte man meinen, daß auch ich verschwunden war, daß es mich nie gegeben hatte. Doch dann begann ich meinen Onkel zu verstehen. Das Haus Alamar war ebenso alt wie unseres, und ebenso stark - ihr Schiff überquerte das Meer neben unserem, und nur der Zufall wollte es, daß wir die Herren des neuen Landes wurden und nicht sie. Stolz war das Wappen der Alamars, Einhorn und Eidechse, und all die Jahre über, die Sybald in unserem Haus lebte, hatte er die Farben der Fadars über sich gehabt - die neue Flagge über unserem Haus war nur gerecht.
Und es sollte auch nicht für lange sein: Denn an meinem sechzehnten Geburtstag, am Tage meines Ritterschlags, sollte ich der neue Herzog werden, und an diesem Festtag wollte ich die Flagge meines Hauses mit eigenen Händen hissen. Ich freute mich nicht darauf. Gerne hätte ich auf alle Flaggen verzichtet und auf alle Titel, wenn es mir nur meinen Bruder zurückgegeben hätte.
Aber ich will von meinem Onkel erzählen, von Sybald Alamar. Er war ein ernster, ruhiger Mann, besonnen, wo seine Schwester - seine jüngere Schwester war sie, um ganze acht Jahre - herumflatterte. Sybald war ein Mann des Schwertes, kein Mann der Worte, ein Ritter, wie er nur ein Vorbild sein konnte für alle anderen. Er lebte Sparsam, nicht im Ãœbermaß, und das war gut so, denn die Gelder, über die er gebot, waren nicht die seinen, sondern sollten dem Wohle der Kolonie dienen. Als ich begriff, daß die Zeit der Feste und Bälle ein Ende hatte, freute ich mich, zum ersten Male seit Mutters Tod. Was blieb, waren die Turniere, vier Stück im Jahr, aber das war etwas anderes: Auf einem Turnier wurden keine Röcke und Kleider dargeboten, sondern die Stärke des Landes, das Können der Ritter, alle großen Tugenden, die wir vertraten und die wir bereit waren, mit unserem Leben zu verteidigen. Ich wünschte nichts mehr, als Sybalds Knappe werden zu dürfen, denn sein Stern strahlte heller als alle, und von keinem wollte ich lernen als von ihm.
Sybald hatte niemals geheiratet, kein Sohn sollte nach ihm Echse und Einhorn führen - doch er sah dem Ende seinen Hauses mit seltsamer Gelassenheit entgegen. »Zerbrich dir nicht den Kopf darüber, Byron«, sagte er mir einmal. »Die Ehre eines Hauses hängt nicht an seinem Wappen. Du bist ein Alamar und ein Fadar in gleichem Maße, egal, welche Farben zu trägst. Das Blut deiner Mutter wiegt nicht weniger schwer als das deines Vaters, und indem ich dich erziehe, bist du mein Erbe - denn wenn ich weiß, daß mein Glaube und mein Vertrauen auf die Tugend und das Gute in dir weiterleben, habe ich doch gesiegt und kann unbesorgt sterben.«
Ich liebte ihn für diese Worte, und ich hoffte sehr, daß er sich mit dem Sterben noch viele Jahre Zeit lassen würde - wenn schon nicht mehr Verwalter der Kolonie, so wollte ich ihn doch nach meiner Großjährigkeit als Berater nicht missen. Sybald war streng mit mir, aber er war allzeit gerecht. Er war ein Bild von einem Ritter.
Doch bald schon sollte ich ganz andere Seiten an ihm kennenlernen.

Es mochte eine Woche vergangen sein seit dem Tod meiner Mutter und Jarvis’ Verschwinden, da brachte Sybald plötzlich zwei fremde Kinder ins Schloß, einen Jungen und ein Mädchen. Sie mochten in meinem Alter sein - tatsächlich war der Junge zwei Jahre älter als ich, das Mädchen dagegen nur etwas weniger als ein Jahr jünger. Sie waren armselig gekleidet, in dünnen, geflickten Sachen, einfach genäht aus erdbraunem Stoff. Ihre Augen waren braun, ihre Haare waren braun, und auch ihre Haut. Wie bei den Dienern, nur nicht ganz so dunkel. Und die Diener waren besser gekleidet.
Sybald hatte einen Arm um das Mädchen gelegt, und er lächelte mich an, auf seine übliche Art, die immer etwas bedrückt erschien. »Ah, Byron… schön, daß du gekommen bist.«
Ich blickte ihn erwartungsvoll an und wartete ab.
»Ich möchte, daß du Vaenris und Savenn kennenlernst.«
Ich nickte und sagte: »Ja«, und kam mir sehr dumm dabei vor, aber was sollte ich auch sagen? Ich wollte die Kinder ja nicht kränken.
»Sie werden von nun an bei uns leben. Sie haben ihre Mutter an das Fieber verloren, genau wie du.«
Da begriff ich, um was es ging, was Sybald mich lehren wollte. »Das ist sehr gütig von dir, Onkel«, sagte ich. Güte war eine Rittertugend. Oder meinte er doch Mildtätigkeit? Oder Barmherzigkeit? Schnell fuhr ich fort, immer eifriger: »Wir werden sie neu kleiden. Und… und wir geben ihnen Arbeit, damit sie nie mehr hungern müssen.« Ich wollte, daß er stolz auf mich war, daß er sah, wieviel er mich schon gelehrt hatte.
Doch Sybald war nicht stolz auf mich. »Du begreifst nicht«, sagte er. Wie sehr ich diese Worte haßte, und von ihm am meisten! »Sie werden hier leben wie du und ich. Sie sind dein Vetter und deine Base, aber von nun an sollen sie wie Geschwister für dich sein.«
Mein Gesicht brannte, als hätte er mich geschlagen. Ich erstarrte für einen Moment, während die fremden Kinder mich anstarrten. Das Mädchen hatte ein hübsches Gesicht, große dunkle Augen, aber ängstlich. Der Junge hielt seine Lippen trotzig zusammengekniffen und die Arme vor der Brust verschränkt. Er machte einen Schritt rückwärts bei Sybalds Worten. Er war… feindselig.
»Nein!« rief ich. »Niemals! Das sind nicht meine Geschwister! Ich habe einen Bruder, ich will keinen anderen! Und auch keine Schwester!« Ich drehte mich um und lief weg.
»Warte, Byron!« hörte ich Sybalds Stimme hinter mir. Nicht bittend - zornig, ein zorniger Befehl.
Seit ich mich erinnern konnte, hatte ich mich niemals Sybald widersetzt. Doch diesmal gehorchte ich nicht; ich rannte in mein Zimmer, schlug die Tür hinter mir zu und warf mich aufs Bett.
Ich hatte nicht geweint, als unsere Mutter starb, und nicht, als Jarvis mich verließ - Ritter weinten niemals, das war eine Schwäche für Frauen und Kinder. Aber nun konnte ich nicht mehr an mich halten, ich weinte und konnte froh sein, daß die Burgwände so dick waren. Warum weinte ich? Jarvis war mein Bruder. Jarvis war am Leben. Aber Sybald tat so, als hätte es Jarvis nie gegeben. Als bräuchte ich neue Geschwister…
Als es Abend wurde, begriff ich, daß ich mein Zimmer nicht verlassen konnte. Ich hatte mich ungebührlich benommen, ich hatte Sybald gekränkt, der es doch nur gut mit mir meinte, und die beiden Kinder konnten auch nichts dafür… Erst nun begann ich, mich zu wundern, daß Sybald sie meine Base und Vetter genannt hatte. Aber es war egal. Ich konnte mich nicht entschuldigen. Nicht, bevor Sybald sich zuerst entschuldigte.
Die Nacht kam, und ich ging hungrig schlafen. Am anderen Morgen brachte man mir etwas zu essen, aber nur durch die Diener. Sybald kam den ganzen Tag lang nicht, und ich verließ mein Zimmer nicht. Jarvis fehlte mir mehr als jemals zuvor.
Am Abend des nächsten Tages klopfte es an meiner Tür. Erleichtert sagte ich: »Herein«, froh, daß Sybald den ersten Schritt getan hatte, den ich nicht tun konnte.
Doch es war nicht mein Onkel. Er war der fremde Junge. »Ich habe gehört, du schmollst?« sagte er.
Ich nickte. »Er hat mich gekränkt.«
»Wer?« fragte Vaenris ruhig.
»Mein Onkel Sybald«, erwiderte ich.
Vaenris begann zu lachen. Jarvis hatte mich manchmal ausgelacht, doch niemals klang es so garstig. »Dein Bruder hat sich sitzenlassen, aber du bist gekränkt wegen einem Satz von deinem Onkel?«
Ich kämpfte meine Wut nieder. »Warum bist du gekommen?« fragte ich und wußte, daß ich mich rüde verhielt, doch es war mir gleich.
»Um etwas klarzustellen«, sagte Vaenris leise.
»Was?«
»Ich brauche auch keinen neuen Bruder. Ich habe eine Schwester, das ist genug. Wir gehören zusammen. Wir brauchen dich nicht.«
Obwohl seine Worte meinen ähnelten, taten sie mir weh. Vielleicht schämte ich mich auch etwas. Aber Vaenris war der letzte, den ich um Verzeihung gebeten hätte. Ich schluckte. Wenn ich ein Ritter sein wollte, mußte ich Größe zeigen. »Es tut mir leid«, sagte ich leise.
Vaenris bleckte die Zähne, sie schienen hell in seinem brauen Gesicht. »Ich brauche auch kein Mitleid! Ich brauche keine Almosen und keine Armenspeisung und keine abgelegten Kleider von dir! Wir können uns sehr gut allein durchschlagen, Savenn und ich, wir brauchen nicht einmal deinen verdammten Onkel!«
Ich erbleichte bei seinen Worten. Wütend sein war eine Sache, aber zu fluchen war etwas anderes, noch dazu in meinem Zimmer!
»Das nimmst du sofort zurück!« rief ich. »ich lasse nicht zu, daß du meinen Onkel verfluchst!«
Einen Moment lang hielt er inne. Dann schnaubte er höhnisch. »Ich kann ihn verfluchen, wann und so oft ich will! Dein verdammter Onkel ist mein verdammter Vater!«
»Du lügst!« Ich wußte, ich durfte niemanden leichtfertig der Lüge bezichtigen, doch ich war sicher, daß Vaenris log. Auch, wenn es wirklich die Wahrheit war. »Er kann nicht dein Vater sein!«
Meine halsstarrige Inbrunst ließ ihn stutzen. »Warum nicht?«
»Weil -«, plötzlich fehlten mir die Worte. Sybald hatte mich gelehrt, die Diener und anderen Eingeborenen nicht wegen ihrer Hautfarbe zu verspotten. »Es liegt an der Hitze, weiß du«, sagte er damals. »Warte nur, in hundert Jahren bist du so braun wie sie.« Und ich lachte bei der Vorstellung, hundert Jahre lang zu leben, und wenn ich alte Leute sah, überlegte ich, wie braun sie schon geworden waren, verglichen mit mir. Aber ich konnte Vaenris nicht sagen: »Weil deine Haut so braun ist.«
Also sagte ich: »Du siehst ihm nicht einmal ähnlich.« Es stimmte nicht, Vaenris und Sybald sahen sich schon ähnlich: Wie sie lächelten, wie sie den Kopf hielten… Aber Sybald war ohne jede Zweifel mein Onkel, und mit Vaenris wollte ich nicht verwandt sein.
Doch Vaenris lachte. »Ob du’s mir glaubst oder nicht, kann mir gleich sein. Von mir aus muß er es nicht einmal zugeben, ich kann mir schöneres vorstellen, als als Bastard zu leben.« Er ballte die Fäuste, während er sprach. »Komm, beleidige mich weiter, dann kann ich dir die Nase brechen.«
Ich starrte ihn sprachlos an. Solche Worte war ich nicht gewöhnt.
Vaenris runzelte die Stirn. »Sag, bist du wirklich so dämlich? Ich habe keine Lust, mich mit dir zu streiten. Aber ich finde, du verdienst eine Tracht Prügel.«
»Nein«, rief ich, »die verdienst du!«
Als hätte er nur darauf gewartet, stürzte er sich auf mich. Ich wich nicht aus. Ich konnte kämpfen - ich lernte erst, mit dem Schwert umzugehen, und war noch lange nicht so gut darin, wie ich gerne sein wollte, aber ich konnte auch ringen. Ein Ritter durfte sich nicht nur auf seine Waffen verlassen… Ich ließ Vaenris in mich hineinrennen, weil er nicht damit rechnen würde, und nahm ihn in den Schwitzkasten. Wollte ich zumindest.
Im nächsten Moment lagen wir beide am Boden, und ich unter ihm. Und wir beide auf dem Bett. Und gegen die Wand. Und gegen die Korbtruhe - mir war nie aufgefallen, wie klein mein Zimmer doch war. Es hatte eigentlich genug Platz zum Leben, und ich braucht nicht viel. Aber es war kein rechter Ort, um sich zu prügeln. Ich litt mehr unter der Wand, gegen die mich mein Vetter immer wieder trieb, als unter seinen Schlägen. Er kämpfte anders als ich, nicht wie ein Ritter - ich wußte, wo ich nicht hinschlagen durfte, aber er wußte, wo er hinschlagen mußte. Und ich merkte auch, daß er älter war als ich, und daß dies nicht seine erste Prügelei war.
Zum Glück waren zu wenige Dinge im Zimmer, als daß etwas kaputtgegangen wäre, aber wir müssen doch einen gehörigen Krach gemacht haben, und den konnte man hören, obwohl die Wände dick waren. Jedenfalls wurde schließlich - für mich plötzlich - die Tür aufgerissen, gerade als es mir gelungen war, mich aus Vaenris’ Haltegriff zu befreien und meinerseits ihn zu packen. Er war nicht so, daß ich in diesem Kampf nur einstecken mußte…
»Was geht hier vor?« Hatten wir die Tür auch im allgemeinen Kampflärm überhört, zwang Sybalds zornige Stimme uns, innezuhalten und aufzusehen. Und uns zu schämen. Zumindest ich schämte mich. Und ich blutete. Nur aus der Nase, aber immerhin. Und meine rechte Hand tat plötzlich weh. Wie sich herausstellen sollte, war sie verstaucht, und ich war gezwungen, sie noch einige Wochen danach zu schonen. Ich habe dann gelernt, mein Schwert auch mit links zu führen. Dann konnte ich auf die Dauer mit zwei Waffen kämpfen… Aber noch war es nicht so weit, noch saßen wir in meinem Zimmer auf dem Boden und schämten uns.
Daß von allen Leuten ausgerechnet Sybald hereinkommen mußte! Aber dann sah ich eine Person, deren Blick in diesem Moment noch beschämender war: Hinter Sybald, halb im Türrahmen, stand Vaenris’ kleine Schwester. Und sie schaute nicht ihren Bruder an.
»Wir haben uns geprügelt«, sagte Vaenris. »Da, wo ich herkomme, tut man das.« Ächzend stand er auf. Die blauen Flecken waren bei ihm nur schwer zu sehen, aber er hatte welche.
»Da wo du herkommst«, fuhr Sybald ihn an, »kommt Byron auch her. Und er prügelt sich auch nicht!«
»Dafür war er aber ganz gut«, sagte Vaenris und half mir feixend auf. »Sag mal, hast du dich wirklich noch nie geprügelt?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Nicht mal mit deinem Bruder?« Vaenris schien ungläubig.
»Ich verprügle doch nicht Jarvis!« entfuhr es mir, entgeistert.
Ein Lächeln glitt über Vaenris’ Gesicht. »Verstehe schon - ich würde mich auch nie mit Savenn prügeln.«
Ich begriff, was er andeuten wollte, und die Wut kochte wieder in mir hoch. Niemand durfte Jarvis unterstellen… Unwillkürlich ballte ich die Fäuste, die rechte unter Schmerzen, aber Vaenris zog mich zur Seite.
»Morgen Abend«, zischte er. »Draußen hinter den Stallungen, da haben wir Platz, und es kommt so schnell keiner.« Das Feindselige war aus seiner Stimme verschwunden. Er klang vergnügt. Plötzlich mochte ich ihn.
»Abgemacht«, flüsterte ich zurück.
»Jetzt vertragt euch!« sagte Sybald. »Gebt euch die Hand.«
Ich streckte meine Hand aus, und Vaenris, der merkte, daß ich sie mir verletzt hatte, nahm sie vorsichtig, wie einen toten Fisch. Ich schüttelte den Kopf. Wir hatten uns richtig geprügelt, jetzt mußten wir uns auch richtig vertragen. Aber wir uns die Hände schüttelten, biß ich die Zähne zusammen. Vaenris drückte zu, als gelte es, einen zweiten Ringkampf gegen meine Hand auszufechten.
Sybald nickte. »Und jetzt schafft ihr hier wieder Ordnung. Beide.«
Ich sah mich um - das Zimmer war nicht wirklich in Unordnung, nur die Decke war vom Bett gerissen. Sybald bemerkte meinen fragenden Blick, und er lächelte.
»Geht zur Küche, holt einen Eimer Wasser, und Seife, und eine Bürste, und dann schrubbt ihr den Boden. Und wenn so etwas noch einmal passiert - dann dürft ihr die Wände weißen.«

Am Morgen des anderen Tages klopfte ich kleinlaut an Sybalds Tür.
»Komm herein«, sagte er, als hätte er mich erwartet.
»Ich wollte mich entschuldigen«, sagte ich leise. »Ich habe mich ungebührlich verhalten.«
»Nun, du hattest deine Strafe«, sagte er. »Und mit der Hand wirst du noch lange Freude haben.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nicht wegen gestern - wegen vor zwei Tagen. Ich wollte dich nicht beleidigen.«
Sybald runzelte die Stirn. »Du hast wirklich nicht verstanden, um was es ging, nicht wahr?«
Ich nickte und biß mir dabei auf die Unterlippe. »Eigentlich«, sagte ich dann, »verstehe ich es immer noch nicht.«
»Was denn?«
»Nun… es ist… Vaenris hat gesagt…«, ich zögerte, ich brachte das Wort nicht über meine Lippen. »Er hat gesagt, er ist ein Bastard, und du bist sein Vater.«
»Und was ist daran schwer zu verstehen?«
»Er kann doch nicht einfach sagen…«, murmelte ich verschämt, eingeschüchtert durch Sybalds gestrengen Blick.
»Er ist mein Sohn«, unterbrach Sybald mein Schweigen. »Ebenso, wie Savenn meine Tochter ist. Man nennt sie Bastarde, weil ich mit ihrer Mutter nicht verheiratet war.« Er sagte es ganz ruhig, als sei es das Normalste der Welt, aber ich bemerkte den Kummer in seiner Stimme.
Trotzdem fiel mir nichts besseres zu sagen ein als: »Aber du hattest doch nie eine Frau.«
Sybald bedeutete mir, mich zu setzen. »Du bist noch zu jung, um das zu verstehen.« Wenigstens sagte er nicht dumm. »Ich habe mich verliebt, ein einziges Mal im Leben, Jahre, bevor du geboren wurdest. Aber die Frau war eine Eingeborene, ein einfaches Mädchen aus dem Volk. Ich durfte sie nicht heiraten. Aber ich traf sie heimlich. Vaenris wurde geboren, Savenn wurde geboren, und mein Geheimnis blieb ein Geheimnis.«
Ich starrte ihn an, entsetzt und sprachlos. Mein Bild von einem Ritter ging in diesem Augenblick in Stücke. Ein Ritter hatte keine Geheimnisse. Und keine Bastarde.
»Aber jetzt«, schloß Sybald, »ist sie gestorben. Und die Kinder werden hier bei uns leben.«
Ich starrte ihn immer noch an. Schließlich brachte ich hervor: »Aber… aber dann weiß jeder, was du getan hast.«
»Ja«, sagte Sybald ruhig. »Das wird dann wohl geschehen.«
So vieles schoß mir in diesem Moment durch den Kopf - was war mit seiner Ehre, mit der Ehre seine Hauses? Mit all den Sachen, von denen ich bis dahin geglaubt hatte, sie wären sein Leben? Ich sagte nichts davon, aber Sybald mußte meine Gedanken erraten haben.
»Du denkst an die Schande?« fragte er, und ich mußte nicken.
»Was, glaubst du, ist schändlicher?« fragte er weiter. »Ein Ritter, der mit dem Kodex bricht, oder ein Vater, der seine Kinder in der Not im Stich läßt?«
Ich schwieg beschämt. Vielleicht hatte ich zum ersten Mal im Leben begriffen, was Ehre wirklich war, oder was es bedeutete, ein Ritter zu sein.
»Hast du mich jetzt verstanden?« fragte Sybald.
Ich nickte. »Die Kinder können ja nichts dafür«, sagte ich.
Vaenris und Savenn blieben bei uns auf der Burg, und trotz des schlechten Anfangs wurden wir doch Freunde.
Beinahe wie Geschwister. Aber nur beinahe.

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