Nun war es also Sybalds Haus.
Zwar verwaltete er die Kolonie schon seit Jahren, schon seit Vaters
Tod, und niemand zweifelte daran, daß er seine Sache
gut machte. Doch über dem Turm hatte immer die
Flagge der Fadars geweht. Nun hing dort seine.
Erst schmerzte es mich. Ich mochte vielleicht der letzte Fadar
sein, aber es gab mich noch, und wenn man nun auf die Burg zuritt
und sah die fremden Farben - grün, gold und schwarz
- konnte man meinen, daß auch ich verschwunden war,
daß es mich nie gegeben hatte. Doch dann begann ich
meinen Onkel zu verstehen. Das Haus Alamar war ebenso alt wie
unseres, und ebenso stark - ihr Schiff überquerte
das Meer neben unserem, und nur der Zufall wollte es,
daß wir die Herren des neuen Landes wurden und nicht
sie. Stolz war das Wappen der Alamars, Einhorn und Eidechse, und
all die Jahre über, die Sybald in unserem Haus
lebte, hatte er die Farben der Fadars über sich
gehabt - die neue Flagge über unserem Haus war nur
gerecht.
Und es sollte auch nicht für lange sein: Denn an
meinem sechzehnten Geburtstag, am Tage meines Ritterschlags, sollte
ich der neue Herzog werden, und an diesem Festtag wollte ich die
Flagge meines Hauses mit eigenen Händen hissen. Ich
freute mich nicht darauf. Gerne hätte ich auf alle
Flaggen verzichtet und auf alle Titel, wenn es mir nur meinen
Bruder zurückgegeben hätte.
Aber ich will von meinem Onkel erzählen, von Sybald
Alamar. Er war ein ernster, ruhiger Mann, besonnen, wo seine
Schwester - seine jüngere Schwester war sie, um
ganze acht Jahre - herumflatterte. Sybald war ein Mann des
Schwertes, kein Mann der Worte, ein Ritter, wie er nur ein Vorbild
sein konnte für alle anderen. Er lebte Sparsam,
nicht im Ãœbermaß, und das war gut so,
denn die Gelder, über die er gebot, waren nicht die
seinen, sondern sollten dem Wohle der Kolonie dienen. Als ich
begriff, daß die Zeit der Feste und
Bälle ein Ende hatte, freute ich mich, zum ersten
Male seit Mutters Tod. Was blieb, waren die Turniere, vier
Stück im Jahr, aber das war etwas anderes: Auf einem
Turnier wurden keine Röcke und Kleider dargeboten,
sondern die Stärke des Landes, das
Können der Ritter, alle großen Tugenden,
die wir vertraten und die wir bereit waren, mit unserem Leben zu
verteidigen. Ich wünschte nichts mehr, als Sybalds
Knappe werden zu dürfen, denn sein Stern strahlte
heller als alle, und von keinem wollte ich lernen als von ihm.
Sybald hatte niemals geheiratet, kein Sohn sollte nach ihm Echse
und Einhorn führen - doch er sah dem Ende seinen
Hauses mit seltsamer Gelassenheit entgegen. »Zerbrich
dir nicht den Kopf darüber, Byron«,
sagte er mir einmal. »Die Ehre eines Hauses
hängt nicht an seinem Wappen. Du bist ein Alamar und
ein Fadar in gleichem Maße, egal, welche Farben zu
trägst. Das Blut deiner Mutter wiegt nicht weniger
schwer als das deines Vaters, und indem ich dich erziehe, bist du
mein Erbe - denn wenn ich weiß, daß mein
Glaube und mein Vertrauen auf die Tugend und das Gute in dir
weiterleben, habe ich doch gesiegt und kann unbesorgt
sterben.«
Ich liebte ihn für diese Worte, und ich hoffte
sehr, daß er sich mit dem Sterben noch viele Jahre
Zeit lassen würde - wenn schon nicht mehr Verwalter
der Kolonie, so wollte ich ihn doch nach meiner
Großjährigkeit als Berater nicht
missen. Sybald war streng mit mir, aber er war allzeit gerecht. Er
war ein Bild von einem Ritter.
Doch bald schon sollte ich ganz andere Seiten an ihm
kennenlernen.
Es mochte eine Woche vergangen
sein seit dem Tod meiner Mutter und Jarvis’
Verschwinden, da brachte Sybald plötzlich zwei fremde
Kinder ins Schloß, einen Jungen und ein
Mädchen. Sie mochten in meinem Alter sein -
tatsächlich war der Junge zwei Jahre
älter als ich, das Mädchen dagegen
nur etwas weniger als ein Jahr jünger. Sie waren
armselig gekleidet, in dünnen, geflickten Sachen,
einfach genäht aus erdbraunem Stoff. Ihre Augen
waren braun, ihre Haare waren braun, und auch ihre Haut. Wie bei
den Dienern, nur nicht ganz so dunkel. Und die Diener waren besser
gekleidet.
Sybald hatte einen Arm um das Mädchen gelegt, und
er lächelte mich an, auf seine
übliche Art, die immer etwas bedrückt
erschien. »Ah, Byron…
schön, daß du gekommen
bist.«
Ich blickte ihn erwartungsvoll an und wartete ab.
»Ich möchte, daß du Vaenris
und Savenn kennenlernst.«
Ich nickte und sagte: »Ja«, und kam mir
sehr dumm dabei vor, aber was sollte ich auch sagen? Ich wollte die
Kinder ja nicht kränken.
»Sie werden von nun an bei uns leben. Sie haben ihre
Mutter an das Fieber verloren, genau wie du.«
Da begriff ich, um was es ging, was Sybald mich lehren wollte.
»Das ist sehr gütig von dir,
Onkel«, sagte ich. Güte war eine
Rittertugend. Oder meinte er doch Mildtätigkeit?
Oder Barmherzigkeit? Schnell fuhr ich fort, immer eifriger:
»Wir werden sie neu kleiden. Und…
und wir geben ihnen Arbeit, damit sie nie mehr hungern
müssen.« Ich wollte, daß
er stolz auf mich war, daß er sah, wieviel er mich
schon gelehrt hatte.
Doch Sybald war nicht stolz auf mich. »Du begreifst
nicht«, sagte er. Wie sehr ich diese Worte
haßte, und von ihm am meisten! »Sie
werden hier leben wie du und ich. Sie sind dein Vetter und deine
Base, aber von nun an sollen sie wie Geschwister für
dich sein.«
Mein Gesicht brannte, als hätte er mich geschlagen.
Ich erstarrte für einen Moment,
während die fremden Kinder mich anstarrten. Das
Mädchen hatte ein hübsches Gesicht,
große dunkle Augen, aber ängstlich. Der
Junge hielt seine Lippen trotzig zusammengekniffen und die Arme vor
der Brust verschränkt. Er machte einen Schritt
rückwärts bei Sybalds Worten. Er
war… feindselig.
»Nein!« rief ich. »Niemals!
Das sind nicht meine Geschwister! Ich habe einen Bruder, ich will
keinen anderen! Und auch keine Schwester!« Ich drehte
mich um und lief weg.
»Warte, Byron!« hörte ich
Sybalds Stimme hinter mir. Nicht bittend - zornig, ein zorniger
Befehl.
Seit ich mich erinnern konnte, hatte ich mich niemals Sybald
widersetzt. Doch diesmal gehorchte ich nicht; ich rannte in mein
Zimmer, schlug die Tür hinter mir zu und warf mich
aufs Bett.
Ich hatte nicht geweint, als unsere Mutter starb, und nicht, als
Jarvis mich verließ - Ritter weinten niemals, das war
eine Schwäche für Frauen und Kinder.
Aber nun konnte ich nicht mehr an mich halten, ich weinte und
konnte froh sein, daß die Burgwände so
dick waren. Warum weinte ich? Jarvis war mein Bruder. Jarvis war am
Leben. Aber Sybald tat so, als hätte es Jarvis nie
gegeben. Als bräuchte ich neue
Geschwister…
Als es Abend wurde, begriff ich, daß ich mein Zimmer
nicht verlassen konnte. Ich hatte mich ungebührlich
benommen, ich hatte Sybald gekränkt, der es doch nur
gut mit mir meinte, und die beiden Kinder konnten auch nichts
dafür… Erst nun begann ich, mich
zu wundern, daß Sybald sie meine Base und
Vetter genannt hatte. Aber es war egal. Ich konnte mich
nicht entschuldigen. Nicht, bevor Sybald sich zuerst
entschuldigte.
Die Nacht kam, und ich ging hungrig schlafen. Am anderen Morgen
brachte man mir etwas zu essen, aber nur durch die Diener. Sybald
kam den ganzen Tag lang nicht, und ich verließ mein
Zimmer nicht. Jarvis fehlte mir mehr als jemals zuvor.
Am Abend des nächsten Tages klopfte es an meiner
Tür. Erleichtert sagte ich:
»Herein«, froh, daß Sybald
den ersten Schritt getan hatte, den ich nicht tun konnte.
Doch es war nicht mein Onkel. Er war der fremde Junge.
»Ich habe gehört, du
schmollst?« sagte er.
Ich nickte. »Er hat mich
gekränkt.«
»Wer?« fragte Vaenris ruhig.
»Mein Onkel Sybald«, erwiderte ich.
Vaenris begann zu lachen. Jarvis hatte mich manchmal ausgelacht,
doch niemals klang es so garstig. »Dein Bruder hat
sich sitzenlassen, aber du bist gekränkt wegen einem
Satz von deinem Onkel?«
Ich kämpfte meine Wut nieder. »Warum
bist du gekommen?« fragte ich und wußte,
daß ich mich rüde verhielt, doch es war
mir gleich.
»Um etwas klarzustellen«, sagte Vaenris
leise.
»Was?«
»Ich brauche auch keinen neuen Bruder. Ich habe eine
Schwester, das ist genug. Wir gehören zusammen. Wir
brauchen dich nicht.«
Obwohl seine Worte meinen ähnelten, taten sie mir
weh. Vielleicht schämte ich mich auch etwas. Aber
Vaenris war der letzte, den ich um Verzeihung gebeten
hätte. Ich schluckte. Wenn ich ein Ritter sein
wollte, mußte ich Größe
zeigen. »Es tut mir leid«, sagte ich
leise.
Vaenris bleckte die Zähne, sie schienen hell in
seinem brauen Gesicht. »Ich brauche auch kein Mitleid!
Ich brauche keine Almosen und keine Armenspeisung und keine
abgelegten Kleider von dir! Wir können uns sehr gut
allein durchschlagen, Savenn und ich, wir brauchen nicht einmal
deinen verdammten Onkel!«
Ich erbleichte bei seinen Worten. Wütend sein war
eine Sache, aber zu fluchen war etwas anderes, noch dazu in meinem
Zimmer!
»Das nimmst du sofort
zurück!« rief ich. »ich
lasse nicht zu, daß du meinen Onkel
verfluchst!«
Einen Moment lang hielt er inne. Dann schnaubte er
höhnisch. »Ich kann ihn verfluchen, wann
und so oft ich will! Dein verdammter Onkel ist mein verdammter
Vater!«
»Du lügst!« Ich
wußte, ich durfte niemanden leichtfertig der
Lüge bezichtigen, doch ich war sicher,
daß Vaenris log. Auch, wenn es wirklich die Wahrheit
war. »Er kann nicht dein Vater sein!«
Meine halsstarrige Inbrunst ließ ihn stutzen.
»Warum nicht?«
»Weil -«, plötzlich fehlten
mir die Worte. Sybald hatte mich gelehrt, die Diener und anderen
Eingeborenen nicht wegen ihrer Hautfarbe zu verspotten.
»Es liegt an der Hitze, weiß
du«, sagte er damals. »Warte nur, in
hundert Jahren bist du so braun wie sie.« Und ich
lachte bei der Vorstellung, hundert Jahre lang zu leben, und wenn
ich alte Leute sah, überlegte ich, wie braun sie
schon geworden waren, verglichen mit mir. Aber ich konnte Vaenris
nicht sagen: »Weil deine Haut so braun
ist.«
Also sagte ich: »Du siehst ihm nicht einmal
ähnlich.« Es stimmte nicht, Vaenris und
Sybald sahen sich schon ähnlich: Wie sie
lächelten, wie sie den Kopf
hielten… Aber Sybald war ohne jede Zweifel mein
Onkel, und mit Vaenris wollte ich nicht verwandt sein.
Doch Vaenris lachte. »Ob du’s mir
glaubst oder nicht, kann mir gleich sein. Von mir aus
muß er es nicht einmal zugeben, ich kann mir
schöneres vorstellen, als als Bastard zu
leben.« Er ballte die Fäuste,
während er sprach. »Komm, beleidige
mich weiter, dann kann ich dir die Nase brechen.«
Ich starrte ihn sprachlos an. Solche Worte war ich nicht
gewöhnt.
Vaenris runzelte die Stirn. »Sag, bist du wirklich so
dämlich? Ich habe keine Lust, mich mit dir zu
streiten. Aber ich finde, du verdienst eine Tracht
Prügel.«
»Nein«, rief ich, »die
verdienst du!«
Als hätte er nur darauf gewartet,
stürzte er sich auf mich. Ich wich nicht aus. Ich
konnte kämpfen - ich lernte erst, mit dem Schwert
umzugehen, und war noch lange nicht so gut darin, wie ich gerne
sein wollte, aber ich konnte auch ringen. Ein Ritter durfte sich
nicht nur auf seine Waffen verlassen… Ich
ließ Vaenris in mich hineinrennen, weil er nicht damit
rechnen würde, und nahm ihn in den Schwitzkasten.
Wollte ich zumindest.
Im nächsten Moment lagen wir beide am Boden, und
ich unter ihm. Und wir beide auf dem Bett. Und gegen die Wand. Und
gegen die Korbtruhe - mir war nie aufgefallen, wie klein mein
Zimmer doch war. Es hatte eigentlich genug Platz zum Leben, und ich
braucht nicht viel. Aber es war kein rechter Ort, um sich zu
prügeln. Ich litt mehr unter der Wand, gegen die
mich mein Vetter immer wieder trieb, als unter seinen
Schlägen. Er kämpfte anders als ich,
nicht wie ein Ritter - ich wußte, wo ich nicht
hinschlagen durfte, aber er wußte, wo er hinschlagen
mußte. Und ich merkte auch, daß er
älter war als ich, und daß dies nicht
seine erste Prügelei war.
Zum Glück waren zu wenige Dinge im Zimmer, als
daß etwas kaputtgegangen wäre, aber wir
müssen doch einen gehörigen Krach
gemacht haben, und den konnte man hören, obwohl die
Wände dick waren. Jedenfalls wurde
schließlich - für mich
plötzlich - die Tür aufgerissen, gerade
als es mir gelungen war, mich aus Vaenris’
Haltegriff zu befreien und meinerseits ihn zu packen. Er war nicht
so, daß ich in diesem Kampf nur einstecken
mußte…
»Was geht hier vor?« Hatten wir die
Tür auch im allgemeinen Kampflärm
überhört, zwang Sybalds zornige Stimme
uns, innezuhalten und aufzusehen. Und uns zu
schämen. Zumindest ich schämte mich.
Und ich blutete. Nur aus der Nase, aber immerhin. Und meine rechte
Hand tat plötzlich weh. Wie sich herausstellen sollte,
war sie verstaucht, und ich war gezwungen, sie noch einige Wochen
danach zu schonen. Ich habe dann gelernt, mein Schwert auch mit
links zu führen. Dann konnte ich auf die Dauer mit
zwei Waffen kämpfen… Aber noch
war es nicht so weit, noch saßen wir in meinem Zimmer
auf dem Boden und schämten uns.
Daß von allen Leuten ausgerechnet Sybald hereinkommen
mußte! Aber dann sah ich eine Person, deren Blick in
diesem Moment noch beschämender war: Hinter Sybald,
halb im Türrahmen, stand Vaenris’
kleine Schwester. Und sie schaute nicht ihren Bruder an.
»Wir haben uns
geprügelt«, sagte Vaenris.
»Da, wo ich herkomme, tut man das.«
Ächzend stand er auf. Die blauen Flecken waren bei
ihm nur schwer zu sehen, aber er hatte welche.
»Da wo du herkommst«, fuhr Sybald ihn
an, »kommt Byron auch her. Und er
prügelt sich auch nicht!«
»Dafür war er aber ganz
gut«, sagte Vaenris und half mir feixend auf.
»Sag mal, hast du dich wirklich noch nie
geprügelt?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Nicht mal mit deinem Bruder?« Vaenris
schien ungläubig.
»Ich verprügle doch nicht
Jarvis!« entfuhr es mir, entgeistert.
Ein Lächeln glitt über
Vaenris’ Gesicht. »Verstehe schon -
ich würde mich auch nie mit Savenn
prügeln.«
Ich begriff, was er andeuten wollte, und die Wut kochte wieder in
mir hoch. Niemand durfte Jarvis unterstellen…
Unwillkürlich ballte ich die Fäuste,
die rechte unter Schmerzen, aber Vaenris zog mich zur Seite.
»Morgen Abend«, zischte er.
»Draußen hinter den Stallungen, da haben
wir Platz, und es kommt so schnell keiner.« Das
Feindselige war aus seiner Stimme verschwunden. Er klang
vergnügt. Plötzlich mochte ich ihn.
»Abgemacht«, flüsterte
ich zurück.
»Jetzt vertragt euch!« sagte Sybald.
»Gebt euch die Hand.«
Ich streckte meine Hand aus, und Vaenris, der merkte,
daß ich sie mir verletzt hatte, nahm sie vorsichtig,
wie einen toten Fisch. Ich schüttelte den Kopf. Wir
hatten uns richtig geprügelt, jetzt
mußten wir uns auch richtig vertragen. Aber wir uns
die Hände schüttelten,
biß ich die Zähne zusammen. Vaenris
drückte zu, als gelte es, einen zweiten Ringkampf
gegen meine Hand auszufechten.
Sybald nickte. »Und jetzt schafft ihr hier wieder
Ordnung. Beide.«
Ich sah mich um - das Zimmer war nicht wirklich in Unordnung, nur
die Decke war vom Bett gerissen. Sybald bemerkte meinen fragenden
Blick, und er lächelte.
»Geht zur Küche, holt einen Eimer
Wasser, und Seife, und eine Bürste, und dann
schrubbt ihr den Boden. Und wenn so etwas noch einmal passiert -
dann dürft ihr die Wände
weißen.«
Am Morgen des anderen Tages
klopfte ich kleinlaut an Sybalds Tür.
»Komm herein«, sagte er, als
hätte er mich erwartet.
»Ich wollte mich entschuldigen«, sagte
ich leise. »Ich habe mich ungebührlich
verhalten.«
»Nun, du hattest deine Strafe«, sagte
er. »Und mit der Hand wirst du noch lange Freude
haben.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nicht wegen
gestern - wegen vor zwei Tagen. Ich wollte dich nicht
beleidigen.«
Sybald runzelte die Stirn. »Du hast wirklich nicht
verstanden, um was es ging, nicht wahr?«
Ich nickte und biß mir dabei auf die Unterlippe.
»Eigentlich«, sagte ich dann,
»verstehe ich es immer noch nicht.«
»Was denn?«
»Nun… es ist…
Vaenris hat gesagt…«, ich
zögerte, ich brachte das Wort nicht
über meine Lippen. »Er hat gesagt, er
ist ein Bastard, und du bist sein Vater.«
»Und was ist daran schwer zu
verstehen?«
»Er kann doch nicht einfach
sagen…«, murmelte ich
verschämt, eingeschüchtert durch
Sybalds gestrengen Blick.
»Er ist mein Sohn«, unterbrach
Sybald mein Schweigen. »Ebenso, wie Savenn meine
Tochter ist. Man nennt sie Bastarde, weil ich mit ihrer Mutter
nicht verheiratet war.« Er sagte es ganz ruhig, als
sei es das Normalste der Welt, aber ich bemerkte den Kummer in
seiner Stimme.
Trotzdem fiel mir nichts besseres zu sagen ein als:
»Aber du hattest doch nie eine Frau.«
Sybald bedeutete mir, mich zu setzen. »Du bist noch
zu jung, um das zu verstehen.« Wenigstens sagte er
nicht dumm. »Ich habe mich verliebt, ein
einziges Mal im Leben, Jahre, bevor du geboren wurdest. Aber die
Frau war eine Eingeborene, ein einfaches Mädchen aus
dem Volk. Ich durfte sie nicht heiraten. Aber ich traf sie
heimlich. Vaenris wurde geboren, Savenn wurde geboren, und mein
Geheimnis blieb ein Geheimnis.«
Ich starrte ihn an, entsetzt und sprachlos. Mein Bild von einem
Ritter ging in diesem Augenblick in Stücke. Ein
Ritter hatte keine Geheimnisse. Und keine Bastarde.
»Aber jetzt«, schloß
Sybald, »ist sie gestorben. Und die Kinder werden hier
bei uns leben.«
Ich starrte ihn immer noch an. Schließlich brachte
ich hervor: »Aber… aber dann
weiß jeder, was du getan hast.«
»Ja«, sagte Sybald ruhig.
»Das wird dann wohl geschehen.«
So vieles schoß mir in diesem Moment durch den Kopf -
was war mit seiner Ehre, mit der Ehre seine Hauses? Mit all den
Sachen, von denen ich bis dahin geglaubt hatte, sie
wären sein Leben? Ich sagte nichts davon, aber
Sybald mußte meine Gedanken erraten haben.
»Du denkst an die Schande?« fragte er,
und ich mußte nicken.
»Was, glaubst du, ist
schändlicher?« fragte er weiter.
»Ein Ritter, der mit dem Kodex bricht, oder ein Vater,
der seine Kinder in der Not im Stich
läßt?«
Ich schwieg beschämt. Vielleicht hatte ich zum
ersten Mal im Leben begriffen, was Ehre wirklich war, oder was es
bedeutete, ein Ritter zu sein.
»Hast du mich jetzt verstanden?« fragte
Sybald.
Ich nickte. »Die Kinder können ja nichts
dafür«, sagte ich.
Vaenris und Savenn blieben bei uns auf der Burg, und trotz des
schlechten Anfangs wurden wir doch Freunde.
Beinahe wie Geschwister. Aber nur beinahe.
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